Belastungsempfinden, subjektives
Belastungsempfinden, subjektives (subjectively perceived exertion), gefühlsmäßige Einschätzung des Grades der Belastung, die selbst bei Anwendung der BORG -Skala physiologische Parameter (z.B. Herzfrequenzvariabilität) nicht ersetzen kann. Eine Studie mit Biathleten ergab, dass sich das subjektive Belastungsempfinden nicht als alleiniger Steuerparameter im Ausdauertraining eignete (Sieber & Schulze 2014). Aber – und das zeigen auch die Erfahrungen im Schwimmen – mit zunehmendem Trainingsalter verbessert sich das individuelle subjektive Belastungsempfinden. Es ist beeindruckend, wie mancher Spitzenschwimmer seine Laktatwerte fast auf den Punkt „erfühlt“. Ganz im Gegenteil zu jungen Schwimmern, die große Schwierigkeiten haben, vorgegebene Trainingsbereiche nach Gefühl zu treffen (z.B. zwischen GAI und Kompensation). Zudem variiert subjektives Belastungsempfinden entsprechend der transaktionalen Stresstheorie individuell und nicht in direktem Zusammenhang zu zeitlichen Anforderungen (Hoffmann et al. 2010).
Wie viel Training für eine effektive Anpassung notwendig ist und vor allem wie viel Training der einzelne Sportler unbeschadet verkraftet, ist von der Sportwissenschaft wenig erforscht (Mester, 2012, S. 19). Unser Problem ist, dass sich Training in einer Vielzahl von Reizen äußert und bei dieser Komplexität schwer auszumachen ist, was konkret was bewirkt hat. Und wenn man dann meint, den „Hauptschuldigen“ ausgemacht zu haben, dann wird es problematisch, dessen Wirkung bis weit in das biologische Detail zu verfolgen (Mester, ebenda). Da aber nicht überall und zu jeder Zeit gemessen werden kann, stützt sich subjektives Belastungsempfinden auf ein gerüttelt Maß an Trainingserfahrung, über die aber der Hochleistungssportler verfügt. Und es verlangt Vertrauen. →Feedback, →Belastungsskala, →Belastungs-Beanspruchungs-Interaktion
Bok et al. (2020) verglichen subjektive Methoden wie den Gesprächstest (TT), die Affektbewertung auf der Gefühlsskala (FS) und die Bewertung der wahrgenommenen Anstrengung (RPE) als „praktischere Instrumente für die Vorgabe der Trainingsintensität.“ Danach scheinen TT und RPE valide Messgrößen sowohl für die ventilatorische Schwelle als auch für die respiratorische Kompensationsschwelle zu sein. FS zeigt eine Tendenz zur Abgrenzung der ventilatorischen Schwelle, aber ihre Gültigkeit zur Abgrenzung der respiratorischen Kompensationsschwelle ist begrenzt.
Beispiele aus dem Training:
- Bei einer Hospitation sehe ich, wie eine Weltmeisterin im Wasser steht und „bockt“. Sie hat die Serie unterbrochen und ist nicht bereit weiter zu schwimmen. Der Trainer teilt ihr mit, dass er Zeit habe und greift demonstrativ zur Zeitung. So vergehen etwa 10 bis 15 Minuten, bis die Schwimmerin ihre Serie ohne Niveauabbruch beendet. Ein Außenstehender mag das Verhalten des Trainers ablehnen, aber hier handelte es sich um eine über Jahre gereifte Partnerschaft. Der Trainer konnte die Beanspruchung seiner Schwimmerin gut einschätzen und wusste auch mit dem „Böcklein“ umzugehen. Übrigens schwamm das „Böcklein“ später Weltrekord über 400m Lagen, einer der anspruchsvollsten Disziplinen im Schwimmen.
- In einer Trainingseinheit (16×100 Schmett, 4×200 Rücken, 4×200 Brust und 4×400 Freistil) erreichte Chad Le Clos die vorgeschriebenen 4:15 min nicht mehr. Sonst sehr zufrieden mit dem Verlauf des Trainings und sogar der Serie, sagte der Coach mehr im Spaß: Nochmals „von vorn“! Ohne mit der Wimper zu zucken begann Chad wieder „von vorn“ mit den 16×100 Delfin. Aber bald war er total kaputt und die Serie wurde abgebrochen. Chad war aber geknickt und ging wenige Stunden danach zu seinem Trainer und fragte ihn, ob er am freien Nachmittag nicht diese Serie noch mal besser machen dürfe. Dies als Beispiel dafür, wie der Trainer einen übermotivierten Sportler (Mission „Phelps schlagen“) bremsen muss. Er betreute Chad seit dem 12. Lebensjahr und wusste was er tat (Bericht von Stefen Trümpler, Schweiz).