Vorwort

„Wissend ist, wer weiß, wo er findet, was er noch nicht weiß“                                                                                                                                                  Georg Simmel (1858-1918) dt. Soziologe und Philosoph

In den deutschen Schwimmvereinen sind etwa 10.000 Trainer und Trainerassistenten tätig. 500-600 Trainer werden jährlich im Deutschen Schwimmverband (DSV) ausgebildet. Nur die wenigsten davon sind hauptamtlich Trainer. Die Mehrheit eilt nach der Arbeit, der Schule oder der Vorlesung zu „ihrer Gruppe“ in die Schwimm- und Sporthallen und das Ganze für’n „Appel und n’ Ei“. Die Freude am Schwimmsport, der Umgang mit Kindern, die Bindung an den Verein sind die wesentlichen Triebkräfte. Damit allein ist es aber nicht getan. Die Begeisterung für den Sport, die Führung sowohl junger Schwimmer und Schwimmerinnen als auch der Masters erfordern Kompetenz. Diese setzt Fachwissen voraus. Die Zeiten sind vorbei, dass ein Schwimmtrainer mit einem Bassin voll Wasser und einer Stoppuhr hinreichend ausgerüstet ist. Mit seiner „Traineroffensive“ fordert der DOSB einen Trainer, „der nicht nur Fachmann für Trainings- und Wettkampffragen sein muss, sondern vielmehr als Psychologe, Pädagoge, Berater für Fragen des sportlichen Umfelds und Architekt der Leistungssportkultur gleichermaßen gefragt ist“. Schon Counsilman (1980) erkannte: „Jeder Trainer, der sich nicht genügend Zeit nimmt, die psychologischen Grundlagen zum Verständnis von Athleten zu lernen und nicht genügend Physiologie zum Verständnis dessen, was er im Training von ihnen verlangt, der tut seinen Athleten einen schlechten Dienst“ (S. 275).

Harres Trainingslehre (1957) war die Grundschule meiner Trainergeneration. Zum Schwimmtraining holten wir uns Rat bei Rajki (1956) und später bei Counsilman (1980). Seit dem hat die Trainingswissenschaft eine stürmische Entwicklung genommen, immer wieder getragen vom Wechselspiel der Trainingspraxis mit den fortgeschrittenen Erkenntnissen der Wissenschaft. Der Mehrheit unserer Trainer war/ist es aber nicht möglich, sich in einem Studium über vier Jahre das erforderliche Wissen anzueignen, um Schwimmer zu ihren individuellen Höchstleistungen zu führen ohne dabei deren allseitige Entwicklung aus dem Blick zu verlieren. Nach 90 (1. Lizenzstufe) bis maximal 200 Stunden (1.-3. Lizenzstufe) Ausbildung werden sie auf die Sportler „losgelassen“. Damit sind sie von vornherein mit den Aufgaben überfordert, vom vermittelten Wissen her unterfordert. Nur über eine ständige Fortbildung in Verbindung mit den Erkenntnissen aus der tagtäglichen Trainingspraxis reifen sie als kompetente Trainer heran.

Während meiner 20-jährigen Tätigkeit als Lehrreferent in Landesschwimmverbänden und im Deutschen Schwimmverband musste ich wiederholt den Mangel an allgemeinverständlicher Fachliteratur feststellen. Die Ursachen sind mannigfaltig. Sie liegen einmal in der „Unreife“ der jungen Trainingswissenschaft, die sich auch auf terminologischer Ebene äußert. Besonders zwischen „Ost“ und „West“ kam es zu unterschiedlichen Bezeichnungen, Wertungen oder Deutungen. Die eine Seite bereitete sich auf die sportlichen Höhepunkte mit einer „UWV“ vor, die andere Seite „taperte“. Im DSSV unterteilte man den Armzug in eine einleitende, vorbereitende, Haupt- und überleitende Phase, im DSV in eine Zug-, Druck- und Rückholphase. Hier war „wettkampfspezifische Ausdauer“, dort „Stehvermögentraining“ gefordert. Die Vereinigung der beiden Schwimmverbände erforderte auch eine „Vereinigung der Fachsprache“.

Ein weiteres Problem ist die abgehobene Sprache vieler Wissenschaftler. Nun haben wir zwar ein gewisses Verständnis dafür aufzubringen, dass eine Definition gegen sämtliche Angriffe gewappnet sein sollte, aber in der Regel führt das dann zu Satzgebilden, bei denen das „gemeine Fußvolk“ am Ende des Satzes schon vergessen hat, was eigentlich zu Beginn gewollt war. Wir benötigen in der Trainerausbildung verständliche, das Wesen einer Sache treffende Begriffe und Beschreibungen. So kann man Schnelligkeit als „schnellstmögliche Bewegungshandlung“ auf den Punkt bringen, man kann aber auch versuchen „alles mit ins Boot zu nehmen“ und dann ist Schnelligkeit definiert „als sowohl koordinativ als auch konditionell determinierte Leistungsvoraussetzung, die es aufgrund sensorisch-kognitiver und psychischer Prozesse und der Funktionalität des Nerv-Muskel-Systems ermöglicht, in kürzester Zeit auf Reize zu reagieren bzw. Informationen zu verarbeiten sowie elementare Bewegungen und komplexe motorische Handlungen unter sportartspezifischen oder erleichterten Bedingungen mit maximaler bzw. subramaximaler Bewegungsintensität auszuführen, wobei durch eine sehr kurze Belastungsdauer eine Leistungslimitierung durch Ermüdung ausgeschlossen wird“ (Hohmann in Röthig & Prohl, 2003,, S. 462)). Übrigens – nach dem großen irischen Dramatiker George Bernard Shaw, „kann man hohe Bildung dadurch beweisen, dass man die kompliziertesten Dinge auf einfache Art zu erläutern versteht.“

Am Sportwissenschaftlichen Lexikon (Röthig & Prohl,  2003) waren 133 Autoren beteiligt, am Lexikon Sportwissenschaft (Schnabel & Thieß, 1993) „nur“ 74. Das vorliegende Wörterbuch ist im Alleingang entstanden, unterstützt in Teilbereichen durch sechs Spezialisten. So nimmt es nicht Wunder, dass wir vorrangig im „Fahrwasser der Großen“ schwimmen und uns außerstande sehen, zur Glättung der Wellen beizutragen, die durch das häufig noch begriffliche Durcheinander in der Sportwissenschaft hervorgerufen werden. Wir wollen eine Lücke in der Trainerausbildung schließen und erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Die Stichworte wurden nach ihrem „Brauchwert“ für die Praxis des Trainers übernommen, aber nicht nur aus der Perspektive des Beckenrandes. Grundlage waren Lehrbücher, Fachzeitschriften, Referate in der A-Lizenz- Aus- und Fortbildung sowie die drei aktuellen deutschsprachigen Sportlexika (Röthig & Prohl,  2003; Kent & Rost, 1994; Schnabel & Thieß, 1993), natürlich auch das bislang einzige deutschsprachige Wörterbuch für Schwimmen (Walther, 1985). Hinzu kommt, dass der Autor maßgeblich an der Erarbeitung der Rahmenmaterialien für Training und Lehre im DSV beteiligt war und dieses Wissen und die Erfahrungen mit einbringen kann. Da die Trainerausbildung im Schwimmen auf der ganzen Bandbreite der Sportwissenschaft und benachbarter Wissenschaftsdisziplinen beruht, mussten wir uns auf die wesentlichen Schlagworte unter dem Aspekt der Brauchbarkeit für die Trainingspraxis begrenzen. Deshalb wurden auch Begriffe wie z.B. „Laufbahnberatung“ aufgenommen, die in o.g. Lexika keine Rolle spielen, aber im heutigen Hochleistungstraining ein wesentlicher Bestandteil der Förderung sind. Noch im Jahre 2007 wurde der Bestand an Fachbegriffen in Anlehnung an das Projekt „e – Learning in der Bewegungs- und Trainingswissenschaft“ (Schiller, Mester, Igel, 2007) überprüft. Dieser Schritt wird sich als besonders hilfreich für alle Trainer erweisen, die die Ausbildung zum Diplomtrainer anstreben.

Oft „kam der Lehrwart durch“ und hat die in Wörterbüchern übliche sachliche und auf das Wesentliche begrenzte Darstellung eines Stichwortes durch Hinweise für die Trainerpraxis ergänzt. Dabei bitte ich, manchen Seitenhieb zu entschuldigen, aber meine Kollegen sollen mich auch wieder erkennen.

Bei einer solch umfangreichen Arbeit, muss man sich nicht nur entscheiden, welche Stichworte man aufnimmt, sondern auch, worauf man verzichtet. Auch hier diktieren die Erfordernisse der Trainerausbildung die Vorgehensweise. Dem Trainer steht auf dem Büchermarkt eine Fülle an Literatur zur Schwimmausbildung zur Verfügung, vom Anfängerunterricht bis zur Lehrweise der Schwimmarten. Folglich sind wir auf dieser Stelle etwas kürzer getreten. Die wenigen Standardwerke zum darauf aufbauenden Schwimmtraining, besonders zur Steuerung und Regelung des Hochleistungstrainings (Schramm, 1987 und Wilke/Madsen, 1997) waren nicht mehr auf dem Markt oder auf dem neusten Stand. Mit der Trilogie des Sportschwimmens „Wege zum Topschwimmer“ haben Madsen, Reischle, Rudolph & Wilke  2015 diese Lücke gefüllt.  Ausgehend von den Lücken in der gegenwärtigen Trainerausbildung wurden auch im Sinne von Sweetenhams  „coach the person“ viele Begriffe aus der Pädagogik und Psychologie aufgenommen. Auf Modetrends aus dem Fitnessbereich (Power Dumbell, Rebounding, Spin-biking, Taerobic usw.) wurde weitgehend verzichtet wie auf Biografien oder Wettkampfhistorie.

Im Vordergrund stand nicht das Schwimmen in seiner ganzen Spanne vom Anfängerunterricht bis zum Gesundheits- und Breitensport, sondern das wettkampfmäßig betriebene Schwimmen (Sportschwimmen). Damit wollen wir den Becken- wie den Freiwasserschwimmer, den Nachwuchs- wie den Masterschwimmer, den behinderten Leistungsschwimmer wie den modernen Fünfkämpfer oder den Triathleten ansprechen.

Ich bedanke mich für die Unterstützung von Dr. Reischle, Prof. Dietze und dem langjährigen Bundestrainer Niels Bouws für die Zusendung bisheriger Sammlungen von Termini und Abkürzungen aus dem Schwimmen. Besonderer Dank gilt für die Mitarbeit Dörte Paschke (Behindertenschwimmen), Dr. Patrizia Mayer (Masters), Stefan Hetzer (Freiwasserschwimmen), Dr. Harald Rehn (Rettungsschwimmen), Petra Wolfram und Dr. Bügner (Schwimmtechnik, Start/Wende). Gedankt sei auch den Firmen Fahnemann und Schnell-Sportgeräte GmbH. In der langjährigen Tätigkeit als Leistungsdiagnostiker am OSP Hamburg, den Fachausschüssen Schwimmen und Ausbildung im DSV ist manche Erkenntnis gereift. Dank auch an die IAT-Bibliothek, die mich regelmäßig mit neuer „Nahrung“ versorgte. Unersetzlich sind 50 Jahre „Universität Praxis“. Deshalb geht letztlich mein Dank an all die namentlich hier nicht erwähnten Trainer, Wissenschaftler und Topschwimmer des In- und Auslandes, die meine „Gebrauchstheorie“ (Martin) erweiterten.

Die erste Auflage des „Lexikon des Schwimmtrainings“ erschien 2008 bei Präzi-Druck Hamburg. Inzwischen hat sich auch in der Trainingswissenschaft das Wissen erweitert, neue Begriffe wie „polarisiertes Training“ oder „HIT“ sind hinzugekommen. Eine Neuauflage als Druck erwies sich aber nicht mehr als zeitgemäß. Um dem steten Wandel gerecht zu werden, haben wir uns für die vorliegende digitale Variante entschieden.

Schließlich danke ich meiner Familie, Nils und Carl, dass sie ihrem Vater und Opa den Weg ins digitale Zeitalter erleichtert haben und meiner Frau Elke für ihre Geduld, die sich bestimmt in den letzten zehn Jahren unter einem Ruheständler etwas anderes vorgestellt hatte.

Diedrichshagen, im September 2017

Klaus Rudolph

 

 „Der Wettlauf ist vorbei. Erst im Alter kann die Freiheit auffällig wachsen:

Man will keine Karriere mehr, man kann keine mehr wollen.

Der Wettlauf ist vorbei.

Mit ihm: das Sich – Anpassenmüssen, das Einsteckenmüssen.

Mit ihm: die Angst, den richtigen Zug zu versäumen.

Mit ihm: die Sorge, auf das falsche Pferd zu setzen.

Mit ihm: das Wiederkäuen der blödesten Prunksätze des Zeitgeistes“.

Herbert Marcuse (Soziologe)