Entfremdung
Entfremdung (alienation), Begriff in den Gesellschaftswissenschaften zur Kennzeichnung der Beziehung der Menschen untereinander, zur Umwelt (besonders zur Arbeit) oder zu sich selbst, auch als gestörtes Verhältnis des Menschen zu seinen Mitmenschen bis zum Widerspruch zwischen Bevölkerung und „denen da oben“ (Politikverdrossenheit). Unter dem Einfluss von Marx bezog sich der Begriff Entfremdung nicht mehr auf ein allgemeines Unbehagen, sondern auf konkrete soziale Verhältnisse (Produktionsverhältnisse). „Aber als Kürzel für menschliches Unbehagen hat Entfremdung im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts also keineswegs ausgedient. Vielmehr wird sie in den Ängsten derer besonders sichtbar, die über die Verwandlung ihrer geliebten Heimat in eine ihnen fremd gewordene Gesellschaft von Anderen lamentieren“ (Jay, 2018). Denn Entfremdung begleitet uns bis in den Alltag: „Nicht der Mensch lebt sein Leben, sondern sein Leben lebt ihn“ (Rahel Jaeggi, 2005).
Im gewissen Sinne zeugt auch die Ablehnung der Durchführung Olympischer Spiele in München wie in Hamburg von einer Entfremdung der Bevölkerung vom olympischen Sport, der immer mehr als fremdgesteuert (Kommerzialisierung) empfunden wird. Wir spüren das auch im Verhalten von Eltern, wenn sie sich für eine leistungssportliche Karriere ihres Kindes entscheiden sollen (Talentförderung).
Exkurs: Entfremdung im Sport beginnt da, wo die Selbstverwirklichung des Sportlers („Mündigkeit“) in Gefahr gerät. Forderungen des Trainers und das Klima in der Trainingsgruppe können dazu führen, dass der einzelne Sportler zu Gunsten der Erwartungen der anderen auf seine persönliche Identität verzichtet. Er meidet zwar damit Konflikte, verdrängt und verleugnet aber die eigenen Bedürfnisse. „Der mündige Sportler bleibt auf der Strecke…Der überangepasste Mensch ist dauernd bestrebt, sich seine Anpassung wie eine Leistung anerkennen zu lassen. Wird diese Erwartung nicht erfüllt, treten Frustrations– und Aggressionserscheinungen auf…Gefühle und Emotionen, die zum Aufbau einer stabilen Persönlichkeit bedeutsam sind, werden kaum weiter ausgebildet. Eine solche einseitige Verlagerung der Identitätsentwicklung im Sinne der Entfremdung zu verhindern, stellt eine wesentliche pädagogisch-psychologische Aufgabe für Betreuer und Trainer jugendlicher Sportler dar“ (Baumann, 2006, S.21). →Instrumentalisierung des Sports
„Jeder ist sich selbst der Fernste“ Friedrich Nietzsche (1844-1900) Philosoph
Mehr zum Thema (für philosophisch Angehauchte): https://soziopolis.de/erinnern/jubilaeen/artikel/eine-kurze-geschichte-der-entfremdung/ (Zugriff 23.02.2019)