Elektromyostimulation
Elektrosmyostimulation (EMS) (electro-myo-stimulation), griech. myos „Muskel“; „Reizung der Muskulatur durch elektrische Ströme bestimmter Frequenz, Stärke und Dauer, wodurch atrophierte und geschwächte Muskelgruppen schneller zur normalen Leistungsfähigkeit gebracht werden als durch Willkürkontraktion allein“ (Neumann, in: Schnabel & Thieß, 1993, S.249).
EMS wird hauptsächlich in der Sportmedizin eingesetzt, um Schmerzen zu lindern und Schwellungen nach sportbedingten Verletzungen von Sehnen und Bändern zu reduzieren (Fujiya & Goto (2016). Nach ersten Hinweisen zur Anwendung der EMS im Leistungssport sollte deren Einsatz im Training an ausgereifte muskuläre Strukturen gebunden sein und somit dem Hochleistungstraining unter Aufsicht erfahrener Sportmediziner vorbehalten bleiben, da bei unsachgemäßer Anwendung Herkammerflimmern eintreten kann (Paerisch 1971). Besonders nach Erstanwendungen wurden hohe Kreatinkinase-Werte festgestellt. Deshalb verweisen Kemmler et al. (2016): darauf, „dass (a) unsachgemäße WB-EMS-Erstapplikation durchaus negative gesundheitliche Konsequenzen haben kann, (b) eine ausbelastende bzw. sehr intensive WB-EMS-Erstapplikation in jedem Fall zu unterbleiben hat und (c) ein rascher Gewöhnungseffekt auch hinsichtlich ausbelasteter WB-EMS-Applikation auftritt. Letzteres ist zur Realisierung relevanter Effekte, vergleichbar einem konventionellen Krafttraining, nicht zwingend nötig.“ Empfohlen werden mittelfrequente Stromformen (Frequenzen um 2.000 Hz und modulierte Ströme), wie sie in einigen Therapiegeräten, aber auch in Trainingssystemen genutzt werden.
Der Nutzen für den Hochleistungssportler war in der Sportwissenschaft lange umstritten und durch ein Übergewicht von Studien unter isometrischen Bedingungen gekennzeichnet. Erst als hochintensive mechanische Kraftbelastungen und submaximale EMS bei dynamischer Bewegungsausführung vereint wurden, wurde eine höhere Aktivierung und Kraftentfaltung über das gesamte Bewegungsausmaß erreicht „Zusätzlich zur submaximalen Stimulation der Muskulatur über ein festgelegtes Bewegungsausmaß in dynamischer Ausführung können moderne Ganzkörper-EMS Geräte außerdem mehrere Muskelgruppen simultan ansteuern und so Muskelketten unterstützend stimulieren und dadurch das Training intensivieren. Durch die simultane Stimulation von Agonisten und Antagonisten kann auch eine größere Körper- und Gelenksstabilisation erreicht werden.“ (Wirtz & Kleinöder, 2015). Micke et al. (2018) konnten nachweisen, dass besonders die ischiocrurale Muskulatur auf EMS besser ansprach als ein identisches Training ohne EMS (S. 61). In der Trainingspraxis der Schwimmer hat sich zur Optimierung der muskulären Ansteuerung „EMS in der Bewegung“ (→Schwimmbank) bei einer Dauer von 2-3 Wochen (3-5x wöchentlich) bewährt. So erhöhte ein dreiwöchiges EMS-Training die Kraft des m. latissimus dorsi und die Schwimmleistung (Pichon et al. 1995). Unmittelbar vor und nach der EMS sind keine intensiven Trainingsmethoden (ausgenommen Sprints) zu planen. Ferner ist nach EMS ein Rückgang der maximalen Kontraktionsfähigkeit und der zentralen Aktivierungsfähigkeit beobachtet worden (Boerio et al. 2005). →Maximalkraft, exzentrische
Die Sportler im kurzen Zeitprogramm (Sprung, Wurf, Sprint) werden durch das zumeist kraftausdauerorientierte Training unzureichend ihren neuromuskulären Bewegungsprogrammen entsprechend belastet. „Neuromuskulär inadäquate Belastungsreize führen zu keiner Konditionierung der vorhandenen Bewegungsstruktur, sondern eher zu deren Störung oder gar Zerstörung. Der semispezifische Trainingsbereich stellt dabei das Hauptproblem dar. Hier kann das kurze Zeitprogramm aufgrund der relativ geringen Geschwindigkeits- bzw. Intensitätsanforderungen auch von den Sportlern mit kurzem Zeitprogramm meistens nicht realisiert werden. Im Gegensatz zur EMS, die auf Kraftzuwachs und Muskelaufbau orientiert war, wendeten Leipziger Sportwissenschaftler ein Verfahren (Bioimpulser Schnellkrafttraining) an, das primär auf die Beeinflussung neuromuskulärer Programme ausgerichtet war. Damit war es gelungen, dass Sportler im kurzen Zeitprogramm mit Hilfe der Bewegungsgesteuerten Neuromuskulären Stimulation (BNS) in höherem Maße strukturadäquat trainieren können und sich in ihren Kraft- und Leistungsparametern sehr gut entwickeln (Lehmann et al. 1999).
Exkurs: Das EMS-Training kommt ursprünglich aus der Physiotherapie und spielt besonders wegen seiner Zeiteffektivität eine bedeutende Rolle im Fitnessmarkt. In Deutschland trainieren mittlerweile rund 140.000 Menschen bei rund 1.500 EMS-Anbietern. (https://www.fitogram.de/pro/articles/ems-markt-in-deutschland-2016-teil-1). Dabei werden von den Herstellern bahnbrechende Trainingserfolge im Liegen gepriesen („Bodystreet“: Gewichtsverlust, Hautstraffung usw.) und es wird unterschlagen, dass EMS körpereigene Unterstützung braucht, um richtig zu funktionieren (http://www.mz-web.de/leben/gesundheit/elektromyostimulation-was-bringt-das-muskeltraining-unter-strom–7438824). Zudem sind die Kosten nicht zu unterschätzen (z.B. 20 € für 15 Minuten).
Video: (Beitrag NDR) https://www.ndr.de/ratgeber/gesundheit/EMS-Training-Schaedlich-fuer-Muskeln-und-Nieren,emstraining100.html (Zugriff 13.02.2019)