Differenzierungsfähigkeit
Differenzierungsfähigkeit (differentiation ability), auch kinästhetische oder motorisch Differenzierungsfähigkeit, Komponente der koordinativen Fähigkeiten zum Erreichen einer hohen Feinabstimmung von Bewegungsphasen oder Teilkörperbewegungen, die sich in Bewegungsgenauigkeit und Bewegungsökonomie äußert (Meinel & Schnabel, 2004, S.221), z.B. das Einfädeln in eine Nadel. Sie ist gleichzeitig Voraussetzung für weitere koordinative Fähigkeiten wie z.B. Gleichgewichts– und Rhythmusfähigkeit. Eine wesentliche Grundlage guter Differenzierungsfähigkeit ist die Bewegungserfahrung, folglich vielseitiges Üben von der Grundausbildung an. Zugleich unterstützt sie in Verbindung mit der Umstellungsfähigkeit eine schnellere Anpassung an neue Techniken (→Überlernen), z.B. durch veränderte Wettkampfbestimmungen. →Differenzierung
Der Schwimmer benötigt eine gut ausgebildete Differenzierungsfähigkeit bei
- genauem Wiederholen und Beibehalten von Bewegungen in Raum (Zykluslänge) und Zeit (Frequenz, Anzahl Züge pro Bahn, Einhalten der 15m-Tauchbegrenzung, Abstand zur Wand vor Wende und Anschlag,
- der Entspannung bestimmter Muskelgruppen (Rückholphase, Kompensationsschwimmen),
- der Geschwindigkeitsregulation (Tempogefühl, Rennverlauf),
- ökonomischen Krafteinsatz (Länge des Gleitens nach Start und Wende, pro Zug)
- Konzentration auf bestimmte Körperteile (Druck an der Hand, Wasserlage bei bestimmter Kopfhaltung)
- Auseinandersetzung mit dem Umfeld (Wasserbeschaffenheit, Startblock, Wende) bis zur Reaktion auf Gegner (Zwischenspurt).
In der Summe dieser Einzelaktionen sprechen wir vom “Wassergefühl“ des Schwimmers als eine wesentliche Grundlage zum Erreichen der Feinform (→Feinkoordination) der Schwimmtechnik. Die Genauigkeit der Ausführung der Schwimmtechnik kann deshalb auch als Maß für die Differenzierungsfähigkeit gelten, mit biomechanischen Methoden präzisiert als Geschwindigkeit bestimmter Teilkörper (Handgeschwindigkeit), bestimmte Winkel (→Anstellwinkel der Beine beim Brustschwimmen) oder Krafteinsätze (z.B. Seitigkeitsverhalten an der Zugbank) (Meinel & Schnabel, 2004, S. 213). Wichtig ist hierbei eine sofortige Rückinformation, damit der Schwimmer die Bewegung differenziert regulieren kann (→Messplatztraining) →Geschicklichkeit
Exkurs: Die Wettkampftaktik ist stark an die kinästhetischen Differenzierungsfähigkeit gebunden. In einer Studie wurden die tatsächlichen Zeiten über 50m mit den vom Schwimmer erwarteten verglichen. Diese korrelierten bei den Schwimmern stärker als bei den Schwimmerinnen (Invernizzi et al. 2010). Haben Schwimmer tatsächlich ein besseres Zeitgefühl (Timing)?