Vielseitigkeit
Vielseitigkeit (versatility), „komplexe Eigenschaft eines Menschen im Sinne von disponiblen Verhaltens– und Leistungsvoraussetzungen“ (Schnabel, 2008, S. 591)
Vielseitigkeit ist zugleich ein trainingsmethodisches Prinzip, das im langfristigen Leistungsaufbau auf breite und vielfältige Leistungsvoraussetzungen bei Anwendung vielfältiger Mittel und Methoden orientiert. Dabei werden allgemeine Vielseitigkeit (deliberate play) und spezielle Vielseitigkeit (deliberate practice) unterschieden. Aus der umfangreichen Diskussion der letzten Jahrzehnte leitet Hagedorn (1992) ein subsidäres (unterstützend und ersatzweise eintretendes), strukturelles und perspektivisches Vielseitigkeitskonzept ab. Im subsidären Konzept steht die Hauptsportart im Mittelpunkt und die anderen dienen nur dazu Defizite auszugleichen. Beim strukturellen Konzept werden Sportarten mit ähnlichem Bewegungsmuster verstärkt einbezogen (z.B. Vorbereitung auf Radrennen von Eisläuferinnen). Das perspektivische Konzept sieht die Gesamtpersönlichkeit des Sportlers im Mittelpunkt, an deren Formung neben der Spezialsportart auch Elemente von Nebensportarten beteiligt sind. Schwimmen ist als Ganzkörperbewegung und durch die Vielfalt der Schwimmarten sowie der dazu erforderlichen konditionellen Basis vielseitig (→spezielle Vielseitigkeit). Deshalb benötigt der Schwimmer ein Optimum an Bewegungsvielfalt und kein Maximum (im Sinne von „auf allen Hochzeiten tanzen“). Besonders für den Nachwuchstrainer gelten die folgenden Empfehlungen:
- Wir entwickeln noch keine Brust-, Freistil-, Rücken– oder Schmetterlingsschwimmer, sondern Lagenschwimmer.
- Wir entwickeln noch keine Sprinter oder Langstreckler, sondern vielfältig (disponibel) angelegte und einsetzbare Schwimmer, d.h. Schnelligkeit und Grundlagenausdauer sind die wesentlichen konditionellen Fähigkeiten.
- Das Delfinschwimmen (zumindest die Delfinbewegung) hat sich inzwischen in allen Schwimmarten breit gemacht. Wir sollten es deshalb nicht ewig „vor uns her schieben“.
- Start und Wende gehören zum Schwimmwettkampf; also auch zum Training
- Wir beziehen Elemente „benachbarter Sportarten“ mit ein (Wasserball, Wasserspringen, Synchron-, Rettungs-, Flossenschwimmen).
- Schwimmartenkombinationen und Technikübungen schulen das Wassergefühl sowie die koordinativen Fähigkeiten und sollten in keinem Einschwimmprogramm fehlen.
- Die fünf Grundfertigkeiten (Tauchen, Springen, Gleiten, Atmen und Fortbewegen im Wasser) sind zwar mit der Grundausbildung erlernt, sollten aber in zahlreichen Variationen das weitere Training begleiten (ähnlich der Fingerübungen des Pianisten).
- Wenn die einzelnen Bausteine stimmen, wird das gesamte Gebäude stabiler. Führe deshalb zunächst die Einzelbewegungen (Arme/Beine) auf ein ansprechendes Niveau, bevor Du zur Gesamtbewegung übergehst.
- Schieße nicht mit Kanonen auf Spatzen und setze bestimmte Hilfsmittel (Paddles, Flossen, Bremshosen, spezifische Kraftgeräte) und Methoden (→SA, →WA) erst später (nach der Pubertät) ein, ausgenommen für koordinative Übungen.
- Nutze Wochenenden und Ferien, um allgemeine Körperübungen anzuwenden, zu denen Du sonst keine Zeit/Halle usw. hast. Verlagere ein bestimmtes Übungsgut in die „Hausarbeit“ (z.B. Beweglichkeitsübungen).
- Vergiss nicht, nur wer Freude am Training hat, bleibt „bei der Stange“. Freude sind aber für Kinder nicht nur Spaß und Spiel, sondern auch erlebte Leistung. Wer es von klein auf nicht lernt, sich Trainingsbelastungen zu stellen, wird es später auch nur mit Mühe können.
- Vielseitiges Nachwuchstraining steht nicht im Widerspruch zu Belastung und Leistung.
Mehr dazu: Rudolph et al. (2014). Nachwuchskonzeption des DSV, Kassel