Theorie-Praxis-Verhältnis

03. Oktober 2020 T 0

Theorie-Praxis-Verhältnis (theory-practice relationship), das Verhältnis von Ideen und ihrer Verwirklichung. Die Theorie für den Trainer ist integriert in die Sportwissenschaft. Sie wird durch deren Studium und/oder durch die Ausbildung im DOSB vermittelt (→Trainerausbildung). Die Praxis ist an das Training und die Organisationsformen des Sports (Verein, Verband) gebunden. Dabei bewegen sich  „Lernen und Entwicklung in einen Kreislauf von der Praxis zur Theorie und wieder zurück zur Praxis, und sie schrauben sich dabei von einem niedrigen Wissensstand in immer höhere Dimensionen“ (Lind, 2001). Die Praxis steht keineswegs im Dienste einer oder mehrerer Theorien, sondern ist in erster Linie das Resultat von vorangehenden Überlegungen, die den Grundstein für optimale Lernbedingungen für Athleten legen sollen.

„Theoriegeleitetes Denken kann durchaus im Dienste der Praxis stehen, ja es ist sogar für die Vervollkommnung des didaktisch-methodischen Handelns in der Praxis eine Notwendigkeit, denn: Wer von Zeit zu Zeit die Praxis nicht überdenkt (‹reflektiert›), wird sie kaum je vervollkommnen können. Und das, was dabei an Erkenntnis und gesammelter Substanz herausschaut, nennen wir «reflektierte Praxis». Im Sinne einer Praxisanleitung können dann diese Leit- und Lehrsätze (→Trainingsprinzipien) mit dazu beitragen, die eigene Praxis reflektierend gezielter zu evaluieren. Sie ist in zweiter Linie ein ständiger Prozess, in dem einerseits geeignete didaktische Modelle angewendet und ausprobiert, andererseits auch immer sofort die Wirkung derselben beurteilt werden muss. Schließlich sind in der Praxis stets theoretische Kenntnisse nötig, um die Ergebnisse zu verbessern“ (Hotz, 2001).

Exkurs: Im Verhältnis von Theorie und Praxis, hier konkret Sportwissenschaft und Trainingspraxis, bestehen gegenwärtig noch erhebliche Defizite, obwohl beide Seiten von einer Zusammenarbeit profitieren können. Hohmann & Lames (2007) verweisen auf die „Win-win-Situation“ für beide Bereiche bei der Praxisberatung durch die Trainingswissenschaft. Die Diskrepanz zwischen „Elfenbeinturm und Sportplatz“ (Heuer, 1988) ist aber noch nicht behoben (Schnabel & Krug im Vorwort zur 11. Auflage der „Trainingslehre-Trainingswissenschaft“ (2007). Trainer wie Sportwissenschaftler sind aufgefordert, im Interesse der vielen ungeklärten Fragestellungen des Leistungssports aufeinander zuzugehen und die althergebrachte Gegenüberstellung von Theorie und Praxis abzubauen, die Aphoristiker wie folgt beschreiben: „Praxis ist, wenn man nichts weiß, aber alles funktioniert. Theorie ist, wenn man alles weiß, aber nichts funktioniert“. Erfolgreiche Trainer haben durch hohe fachliche Qualifikation gepaart mit praktischer Erfahrung, durch die Nutzung der Angebote des wissenschaftlichen Verbundsystems, das sie kreativ auch immer wieder fordern, die Einheit von Theorie und Praxis verinnerlicht (Rudolph, 2007).

  „Einst trug es sich zu, dass da zwei Männer waren, sehr unterschiedlich in der Art und einander wenig zugetan. Der eine hat sein Leben lang Bücher gelesen, Wissen aufgesaugt, bis er dann so weit war, dieses weiterzugeben und zu mehren. Der andere war von Kindheit an Bastler,einer der mit seinen Händen verändern und gestalten wollte. Beide lebten langeZeit glücklich, aber eines Tages sahen sie sich am Ende ihrer Bemühungen. Der Gelehrte war unzufrieden, weil er fühlte, zwar immer mehr zu wissen, aber nichts zu bewegen. Der Praktiker war des Versuchens und Irrens müde und die unbeantworteten Fragen häuften sich. Unbefriedigt über diesen Zustand trieb es beide in den Gasthof, um beim Bier die Sorgen zu vertreiben. Und da nur noch ein Tisch frei war, waren sie in ihrem Kummer vereint. Da aber der Wissen-schaffende immer auf den Hand-werkenden herabgesehen hatte und dieser wiederum eine gemeinsameSprache vermisste, starrten beide längere Zeit trübsinnig in ihr Bierglas, bis der Alkohol die Zungen löste. Und mit ihm lösten sich viele Fragen und Probleme, die beide seit Längerem belasteten. Es war bereits Polizeistunde, als beide zufrieden und ein ganzes Stück schlauer das Gasthaus verließen. Sie waren glücklich, obwohl sie noch gar nichts von einer „Win-win-Situation“ wussten“ (Rudolph 2007, S.22)

„Um schwimmen zu lernen, muss ich ins Wasser gehen, sonst lerne ich nichts.August Bebel (1840-1913) deutscher Politiker

Mehr zum Thema: Bacharach, D. W. & Beltz, N. M. (2020). Bridging the gap between science and practice in winter sports (Überbrückung der Kluft zwischen Wissenschaft und Praxis im Wintersport). In M. Karczewska-Lindinger, A. Hakkarainen, V. Linnamo & S. Lindinger (Hrsg.), Science and Skiing VIII. Book of the 8th International Congress on Science and Skiing. (S. 20-28). Jyväskylä: University of Jyväskylä; Vuokatti Sports Technology Unit of the Faculty of Sport and Health Sciences of the University of Jyväskylä


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert